Psychedelika sind Substanzen wie LSD, halluzinogene Pilze (z.B. Psilocybin), sogenannte Zauberpilze und viele weitere. Sie gehören zur Familie der Halluzinogene, also Stoffe, die Halluzinationen auslösen können. Sie sind teilweise in der Natur zu finden oder chemisch im Labor erzeugt. Doch was haben solche Substanzen bei der Behandlung von Suchterkrankungen oder andern psychischen Erkrankungen zu tun? Das Thema ist kontrovers und polarisiert.
Unter dem Titel «Psychedelika in der Therapie von Substanzkonsumstörungen» fand am 30. August 2024 das Symposium der «APS Addiction Psychology Switzerland», die Schweizerische Vereinigung der Suchtpsychologie, in Zusammenarbeit mit den Universitären Psychiatrischen Diensten (UPD) im Festsaal der UPD an der Bolligenstrasse in Bern statt.
Der therapeutische Nutzen von Psychedelika wurde bereits seit den 1950er Jahren untersucht. Damals gab es erste Hinweise, dass diese Substanzen insbesondere in der Ergänzung zur Psychotherapie von Abhängigkeitserkrankungen wirksam sind. Die politischen Spannungen während der 70er Jahre führte zu einem Verbot und einem abrupten Ende der Forschung mit Psychedelika. Danach verschwand dieser Forschungsansatz für einige Jahrzehnte gewissermassen in der Versenkung. Das erneute Interesse an der Verwendung dieser Stoffe in der Behandlung psychiatrischer Störungen brachte in den letzten zwanzig Jahren eine deutliche Zunahme von neuen Studien hervor, die teils erfolgversprechende Ergebnisse aufweisen. In der Schweiz haben wir zudem im europäischen Vergleich die einzigartige rechtliche Situation, dass Psychedelika auf Antrag beim Bundesamt für Gesundheit in der psychiatrischen Versorgung schwer psychisch kranker Menschen zugelassen werden können.
Nach der Begrüssung und Einleitung durch den Präsidenten der APS, Prof. Dr. rer. nat. Boris Quednow, Leiter Experimentelle und Klinische Pharmakopsychologie der PUK Zürich, den Grussworten von Prof. Dr. med. Kristina Adorjan, Direktorin und Chefärztin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie (PP) der UPD sowie den organisatorischen Ausführungen von Prof. Dr. phil. Franz Moggi, Kassier der APS und Chefpsychologe in der PP sowie Suchtforscher zusammen mit Prof. Dr. phil. Leila M. Soravia, Vize-Präsidentin der APS und Chefpsychologin in der Universitätsklinik für forensische Psychiatrie und Psychologie der UPD, erfolgte der erste Vortrag des Nachmittags.
Psychedelika in der Behandlung von psychischen Erkrankungen – Aktuelle Entwicklungen
PD Dr. med. Felix Müller, Leiter des klinischen Forschungsbereichs für substanzgestützte Therapie in den Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel, setzt sich bereits seit mehreren Jahren intensiv mit dem Thema auseinander. In den letzten zehn Jahren habe es zahlreiche Studien zum Einsatz von Halluzinogenen gegeben. Psilocybin wurde bei Depressionen, Angststörungen und Alkoholabhängigkeit, MDMA (3,4-Methylenedioxymethamphetamin) bei Posttraumatischen Belastungsstörungen sowie LSD (Lysergsäurediethylamid) bei Ängsten und Depressionen eingesetzt. Dabei fanden die Wissenschaftler*innen, dass nach ein- bis dreimaliger Verabreichung oft positive, z.T. langanhaltende Behandlungseffekte (Wochen bis Jahre) gefunden wurden. Psychotherapie fand häufig begleitend ebenfalls statt. Doch welches sind die Wirkfaktoren? Die spezifisch mystische Erfahrung, allgemeine psychotherapeutische Wirkfaktoren (z.B. Therapiebeziehung, Motivation oder Problemaktualisierung) und ein eventuelles Nervenwachstum, die sogenannte Neuroplastizität werden diskutiert.
PD Dr. med. Felix Müller forscht selber zum Einsatz von LSD bei Depressionen oder Ängsten mit einem Studiendesign, bei dem die Patient*innen entweder zuerst ein Placebo («Scheinmedikament») bekommen und dann in der zweiten Behandlung das LSD oder umgekehrt. Dies wird «Crossover Design» genannt. Als Placebo werden sehr niedrige Dosen von LSD verwendet. Dabei gibt es auch Doppelblindstudien, bei denen weder die verabreichende Person noch die Patient*in wissen, was verabreicht wird. Interessant und noch unverstanden ist der Effekt, dass wer zuerst eine niedrige Dosis als Placebo hatte und nachher eine hohe Dosis bekam, besser abschnitt als umgekehrt. Solche Therapien werden in Basel im 1:1 Setting durchgeführt.
PD Dr. med. Felix Müller sprach auch über Risiken und Nebenwirkungen dieser Therapie. Dazu gehören negative akute Effekte wie Ängste, sogenannte «Flashbacks» und bei entsprechender Veranlagung das Risiko, eine Psychose zu entwickeln. Inzwischen gebe es Guidelines darüber, wie man placebokontrollierte Studien durchführen kann. Das ist darum nicht trivial, weil Patient*innen bei einer wirkungslosen Substanz eventuell erkennen, was das Placebo ist. Daher werden niedrige Dosierungen des Psychedelikum als Placebo eingesetzt.
Die Rolle der Psychotherapie in der psychedelischen Therapie
Über dieses Thema sprach Dr. rer. nat. Ricarda Evens vom Institut für Psychologie und der Charité in Berlin. In den Studien mit Psychedelika sei es nötig, dass die Patient*innen auch psychotherapeutisch begleitet würden, unter anderem weil Probleme während der Behandlung mit der Substanz auftauchen können. Es handle sich nicht um eine einzige Psychotherapieform, sondern mehrere Ansätze würden verwendet. Ob es sich um eine Psychedelika-gestützte Psychotherapie, eine Psychotherapie-gestützte Psychedelikatherapie oder eine Kombinationstherapie handelt, unterscheidet sich im konkreten Vorgehen. Zu beachten seien zudem die Umgebungsvariablen (Raumverhältnisse, Musik, Licht, Temperatur etc.) sowie die Vor- und Nachbereitung.
Standardisiertes ambulantes Psychedelika-assistiertes Gruppentherapieprogramm für Patient*innen mit einer Substanzkonsumstörung in der Klinik Südhang
Konkreter wurde es im dritten Vortrag bei Dr. med. Alexander Wopfner, Chefarzt, Klinik Südhang, Kirchlindach. Er sprach über das standardisierte ambulante Psilocybin-assistierte Gruppentherapieprogramm, das in der Klinik Südhang seit Juni 2022 mit 3 bis 10 Teilnehmenden (insgesamt 25) angeboten wird. Dabei werden zwei Gruppensitzungen als Vorbereitung, ein Substanztag und danach drei Gruppensitzungen zur Integration der Erfahrungen durchgeführt. Bisher wurden Patient*innen mit einer Alkoholabhängigkeit zugelassen, die bereits einige Therapieversuche ohne genügende Erfolge hinter sich hatten. Die meisten von ihnen haben zudem weitere psychische Störungen und/oder Abhängigkeiten (Tabak, Kokain, Heroin). Die bisherige Evidenz sei noch dünn, aber es gebe ermutigende Hinweise auf starke Effekte, meint Dr. med. Alexander Wopfner. Das neue Angebot werde wissenschaftlich begleitet.
Die Bewilligung zur Anwendung von Psychedelika in Kliniken oder Praxen erhält man vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) nur bei entsprechenden Voraussetzungen: Die Patient*innen müssen schwere Beeinträchtigungen durch die Erkrankung aufweisen und ungenügend auf bisherige Therapien angesprochen haben. Zudem muss eine gewisse Evidenz für die Wirksamkeit der Behandlung bestehen, der Antrag kann nur durch einen Arzt oder eine Ärztin erfolgen und die Patient*innen müssen Wohnsitz in der Schweiz haben. Die Bewilligungen sind je Patient*in und Substanz zunächst für ein Jahr gültig.
Tagesablauf einer Substanzerfahrungs-Gruppensitzung
Die Patient*innen kommen morgens um 8:30 Uhr in die Klinik Südhang, werden in einen Raum mit anderen Teilnehmenden und zwei Therapeut*innen geführt, wo sie sich gegenseitig begrüssen, man ihnen den Blutdruck misst und sie sich mental und körperlich auf das Prozedere vorbereiten. Danach folgen die Einnahme von Psilocybin und eine Achtsamkeitsmeditation. Nach dem Abklingen der Wirkung gibt es um 14:30 Uhr eine kurze Rückmeldungsrunde, später ein Zvieri, dann werden die Erlebnisse durch Malen und Schreiben integriert. Wieder tauschen sich die Patient*innen aus. Nach dem Abendessen verbringen sie nochmals Zeit im Kreis mit Musikhören oder Stille. Um 19:30 Uhr werden die Teilnehmenden durch die Bezugsperson abgeholt. Die Patient*innen werden durchgehend therapeutisch begleitet, sie erfahren einen sicheren Rahmen, ihre Autonomie soll gestärkt werden. Akzeptanz, Nicht-Identifikation und Atem als Anker sind dabei Grundsätze. Die Gestaltung des Raums sei auch bei ihnen wichtig. Man kann sich eine Augenbinde aufsetzen oder auch nicht.
Probleme werden durch die Behandlung biografisch, emotional und körperlich aktiviert. Es können dabei auch unangenehme körperliche Reaktionen erfolgen. Weil oft schwierige Erfahrungen gemacht werden, sind die Therapeut*innen (Arzt/Ärztin und Psycholog*in) immer dabei und interagieren bei Bedarf.
Erfahrungsberichte und Diskussion zum Schluss
Abschliessend wurde es noch konkreter. Zwei Patienten, die Therapiesitzungen mit Psychedelika erlebt hatten, erzählten von ihren Erfahrungen. Es war sehr eindrücklich zu hören, was sie in unterschiedlicher Weise erlebt hatten. Der eine hatte vier Behandlungszyklen mitgemacht, obwohl er sehr starke unangenehme körperliche Erlebnisse hatte. Es wurde auch deutlich, dass durch diese ausserordentlichen Bewusstseinszustände der Zugang zu verdrängten Themen aufgerissen werden kann, die dabei hervorbrechenden negativen Gefühle aber ertragen werden können. Mit einem warmen Applaus wurden die beiden Patienten für ihren Mut belohnt, in dieser grossen Runde Persönliches zu erzählen, um den Teilnehmenden des Symposiums einen authentischen Einblick in diese Therapieform zu geben.
Die hohe Teilnehmerzahl am Symposium über Psychedelika (160 Personen) verdeutlicht das wachsende Interesse an dieser Thematik. Die grosse Beteiligung und die rege Diskussion spiegeln nicht nur die wissenschaftliche Neugier wider, sondern auch das zunehmende Bewusstsein für die potenziellen therapeutischen Anwendungen von psychedelischen Substanzen in der modernen Medizin – jedoch ohne deren Limitationen und Risiken auszublenden.
Text: lic. phil. Daniela Krneta, Fachspezialistin Lehre und Forschung